9 Vor zwei Jahren ist Lea Schüller (24) aus Essen zum FC Bayern gewech- selt. Ihre Entwicklung hat damit eine Beschleunigung erfahren: Schül- ler ist gereift, schießt Tore, hat mehr Selbstvertrauen und kann mit Fehlern besser umgehen. Bei der EM in England gehört die „National- spielerin des Jahres 2021“ zu den Hoffnungs trägerinnen. E uropameisterschaft? Nö, lass mal. Lea Schül- ler hat das nicht gesagt und nicht gedacht, aber Lea Schüller findet, dass Lea Schüller diese Gedanken hätte haben und äußern sollen. Präziser: Die Lea Schüller von 2022 findet das von der Lea Schüller 2017. Die Lea Schüller von 2017 kam nicht in die Verlegenheit, sich über eine EM-Teilnahme äußern zu müssen. Sie war damals kurz vor dem Tur- nier in den Niederlanden zum ersten Mal dabei im Kreis von Deutschlands Besten, natürlich hat sie gehofft, dass es für einen Platz im Kader reichen würde. Hat es nicht. Steffi Jones war damals Bun- destrainerin, und Steffi Jones sagte: EM mit Lea Schül- ler? Nö, lass mal. Schüller war enttäuscht damals, natürlich. Heute sagt sie, dass das Turnier für sie zu früh gekommen wäre: „Ich weiß, dass die Entschei- dung gut war. Wenn ich damals schon zur EM mit- gefahren wäre, dann wäre es eine Reizüberflutung gewesen.“ Fünf Jahre später kommen weder Bundestrainerin noch Bundestorschützin auf den Gedanken, dass eine EM ohne Lea Schüller eine gute Idee sein könnte. Schon jetzt ist Schüller voller Vorfreude. „Es krib- belt. Ich spüre eine große Ungeduld. Wir gehen mit hohen Ambitionen in das Turnier“, sagt sie und scheut sich nicht, die Ambitionen zu nennen: „Wenn man als deutsche Nationalmannschaft eine EM spielt, dann will man das Turnier auch gewinnen.“ Lea Schül- ler hat sich in der Nationalmannschaft stabilisiert, etabliert, mit ihren 24 Jahren ist sie immer noch jung, gleichwohl gehört sie schon zu den erfahre- nen Spielerinnen im Team von Martina Voss-Teck- lenburg. „Lea ist eine Torjägerin. Das sehen wir in der Liga, das sehen wir bei uns hier“, sagt die Bun- destrainerin. Die Zahlen dieser Saison dazu: In neun Länderspielen sind Schüller elf Treffer gelungen, für ihren Verein, den FC Bayern, stehen 18 Tore in 27 Spielen in ihren Statistiken. E H R G E I Z U N D P E R F E K T I O N Die große Zukunft, die Schüller oft prophezeit wurde, ist zur Gegenwart geworden. Beleg dafür und für ihre Entwicklung ist auch ihre Wahl zur „National- spielerin des Jahres 2021“. „Die Auszeichnung hat für mich eine hohe Bedeutung, in erster Linie, weil sie direkt von denen kommt, für die wir Fußball spie- len: von unseren Fans. Fans haben ein besonderes Gespür“, sagt sie. „Ich sehe diese Wahl als Bestäti- gung sowohl für meine Leistungen auf dem Platz als auch für die Art, wie ich außerhalb des Spielfelds auftrete. Die Auszeichnung ist aber nicht nur Bestä- tigung, sondern auch Ansporn, weiter an mir zu arbei- ten und noch besser zu werden.“ Potenzial dafür hat sie in vielen Bereichen ausgemacht. Schüller beginnt in ihrer Auflistung mit dem Faktor Erfahrung, bricht dann ab und nimmt eine Abkürzung. „Im Grunde sehe ich keinen Aspekt meines Spiels, in dem meine Entwicklung komplett wäre“, sagt sie und wird dann doch konkret: „Ein wichtiger Punkt ist die Konstanz, hier kann ich auf jeden Fall noch zulegen.“ Wer Lea Schüller nach den prägendsten Merkmalen ihres Wesens fragt, hört die Begriffe „Ehrgeiz“ und „Perfektion“. Alle Bereiche ihres Lebens werden davon tangiert, und in vielen Bereichen wäre Schüller weni- ger weit, wenn sie weniger ehrgeizig und weniger perfektionistisch wäre. Neben dem Fußball studiert sie Wirtschaftsingenieurwesen, das Studium ist genauso Ablenkung für den Kopf wie Notwendigkeit für den Geldbeutel. Für die Zeit nach dem Fußball muss und will sie etwas in der Hand haben, und so führt sie ein duales Leben aus Fußball und Studium.