Liechtenstein hat so viele Einwohner wie eine Kleinstadt. Mit welchen Ambitionen gehen Sie in ein Spiel gegen den viermali- gen Weltmeister Deutschland? Mit den gleichen wie beim vorigen Mal: Wir wollen das, was wir uns vorgenommen haben, umsetzen und das Optimum heraus- holen. Das ist uns im September sehr gut gelungen, vor allem vom Resultat her. Klar, wenn man sich das Chancenplus und den Ballbesitz der Deutschen anschaut, war es ein ziemlich einseitiges Spiel, aber unterm Strich bleibt das Ergebnis von 0:2 – und das hat sich für uns wie ein Punktgewinn ange- fühlt. Das war schon ein tolles Ereignis für uns, gerade wenn man bedenkt, wie Spiele gegen Deutschland sonst ausgegangen sind. Vor dem ersten Aufeinandertreffen sagten Sie, dass zwischen Deutschland und Liech- tenstein der größtmögliche Abstand bestehe … … dann ist ein 0:2 schon okay, oder? (lacht) Sie haben es ja angesprochen: Wir sind ein sehr kleines Land mit nicht einmal 40.000 Einwohnern, Deutschland hat über 80 Mil- lionen. Dann schauen Sie sich die Liga an, die Spieler, fast alle mit Champions-League- Erfahrung, sogar Weltmeister waren noch dabei. Einen viel größeren Unterschied im Sport gibt es nicht, deswegen kann ich die Leistung meiner Spieler an diesem Tag gar nicht genug würdigen. Was aber noch wich- tiger war: Wir haben in diesem Spiel so viel Selbstvertrauen gesammelt, dass wir anschließend einen Punkt gegen Armenien geholt haben, das war außergewöhnlich für uns. Wie erklären Sie es sich, dass das Spiel „nur“ 0:2 endete? In erster Linie lag das natürlich an einer sehr stabilen Defensive. Die Spieler haben auf- opferungsvoll gekämpft, waren sehr diszip- liniert. Ich kenne das ja noch aus meiner Zeit als Nationalspieler: Wenn es gegen solche übermächtigen Gegner geht wie Deutsch- land, Spanien, Portugal und so weiter, dann geht es darum, diese Weltklassespieler ihrer Qualitäten zu berauben, das Tempo heraus- zunehmen, die Zweikämpfe zu führen, ein- ander zu helfen, sich an die taktischen Vor- gaben zu halten. Wenn man das über 90 Minuten schafft, dann wird das für jeden Gegner schwer, weil er dann keine Tiefe in sein Spiel bekommt. Joshua Kimmich hat ja nach dem Spiel angesprochen, dass er noch nie gegen so einen tiefstehenden Gegner gespielt habe. Aber wenn wir uns die Blöße geben und die Tür nur einen Spalt zu weit öffnen, dann geht es gegen so eine Mann- schaft schnell. Mit der Zeit hat man auch gespürt, dass die Deutschen regelrecht genervt waren von uns, da hatte ich dann endgültig ein gutes Gefühl, dass für uns ein gutes Resultat herauskommen könnte. Wie ist das generell, immer der Underdog zu sein, praktisch gegen jeden Gegner? Das ist in der Tat nicht immer einfach, das weiß ich ja von mir selbst. Gerade in der Anfangsphase kann das bisweilen dazu füh- ren, dass man etwas desillusioniert ist, auch mal die Nase voll hat, weil man weiß, wie unwahrscheinlich es ist, ein Spiel zu gewin- nen. Und natürlich ist in jedem Spieler die- ses Siegen-Wollen verankert, gerade, wenn er Profi ist oder werden will. Aber man lernt, diese Rolle anzunehmen, zumal es ja auch eine Ehre ist, sein Land vertreten zu dürfen. Und welcher Fußballer auf Dritt- oder Viert- liganiveau hat schon die Möglichkeit, sich auf solch einer großen Bühne präsentieren zu können? Die Ambitionen sind einfach andere: Es geht nicht darum, sich zu quali- Z U R P E R S O N Geboren am: Geboren in: 29.05.1979 Grabs (Schweiz) S TAT I O N E N A L S P R O F I 1997–1999 1999–2000 2000–2001 2001–2002 2002–2006 2006–2008 2008–2011 2011–2014 FC Vaduz FC Zürich SC Kriens FC Zürich FC Vaduz Dynamo Dresden SV Ried FC St. Gallen N AT I O N A L M A N N S C H A F T 1996–2014 Liechtenstein (113 Spiele, 5 Tore) S TAT I O N E N A L S T R A I N E R 2016 2017–2018 2019–2020 seit 2021 FC St. Gallen (Co-Trainer) Liechtenstein (U 15) Liechtenstein (U 21) Liechtenstein fizieren, sondern darum, sich weiterzuent- wickeln, von den Besten zu lernen. Das hilft uns als Nationalmannschaft, aber es bringt auch jeden einzelnen Spieler enorm weiter. Ist die Vorbereitung auf einen großen Geg- ner einfacher als auf einen kleineren wie Armenien? Auf jeden Fall. Das hat aber nichts mit Moti- vation zu tun. Wir hatten uns überlegt: Wenn wir etwas holen können in dieser Gruppe, dann am ehesten gegen Armenien, auch wenn wir wussten, dass auch das für uns als Mannschaft mit vielen Amateuren brutal schwer werden würde. Und, ja, wir hatten auch etwas Glück, dass Armenien ein paar gute Gelegenheiten nicht genutzt hat, aber in der Schlussphase haben wir tatsächlich 41 noch den Ausgleich geschafft. Es hilft sehr, wenn die Spieler sehen, dass gute Leistun- gen gegen Deutschland und Rumänien dabei geholfen haben. Wird die Priorität einer Mannschaft wie Liechtenstein immer auf dem Verteidigen liegen? Definitiv, alles andere wäre vermessen. Natürlich wollen wir uns weiterentwickeln, und das Tor gegen Armenien, das über 14 Stationen zustande kam, zeigt, dass wir das auch tun, aber wir kennen auch unsere Gren- zen. Wir wissen, wer wir sind und woher wir kommen. Spiele gegen Deutschland sind Highlights, die nimmst du mit, die finden, wenn nicht gerade Corona ist, vor vollem Haus in großen Stadien statt. Wenn du es schaffst, dich gegen Sané, gegen Goretzka, gegen Kimmich zu behaupten, vielleicht auch mal an ihnen vorbeizukommen, dann pusht dich das und es hilft dir im besten Fall auch, wenn du nicht ganz so prominenten Gegnern gegenüberstehst. Wie definieren Sie Erfolg für Ihre Mann- schaft? Durch Resultate, bestenfalls Punktgewinne, trotz allem. Ich bin selbst Profi gewesen, dieser Anspruch geht nie verloren, das ist auch gut so. Wir schenken ja kein Spiel von vorneherein ab, auch wenn wir wissen, dass wir gegen Deutschland von 100 Spielen wahrscheinlich keines gewinnen werden. Aber das Ergebnis hat gepasst. Wir sind eine Mannschaft, in der die meisten einen Ama- teurrhythmus haben: samstags Spiel, drei- bis viermal die Woche Training. Wenn wir es trotzdem schaffen, solche Ergebnisse wie im September zu erzielen, dann ist das ein Erfolg für uns. Wie verlief die Lockdown-Phase für Ihre Spieler und für Sie als Nationaltrainer vor dem Hintergrund, dass Sie kaum Profis im Kader haben? Das war nicht einfach. Ein Beispiel: Als wir im Juni zusammenkamen, hatten die meis- ten anderthalb Jahre keinen Spielrhythmus, manche hatten in dieser Zeit genau acht Pflichtspiele bestritten. Entsprechend fielen dann auch die Ergebnisse aus, da sind wir untergegangen (0:7 gegen die Schweiz, 1:5 gegen die Färöer, Anm. d. Red.). Da wir als Nationalmannschaft aber die ganze Zeit Trai- ningseinheiten durchführen durften, habe ich die verfügbaren Spieler immerhin mehr- mals in der Woche trainieren können. Seit Sommer spielen alle wieder regelmäßig. Trotzdem: Wenn dir, sagen wir mit 23, andert- halb Jahre in deiner Karriere fehlen, dann hängt dir das nach – umso mehr, wenn das bei deinen Gegnern, die Profis sind, nicht der Fall war.