44 D F B - A K T U E L L 0 3 | 2 0 2 1 U N S E R T E A M D R E I M A L A L L O F S Auch Klaus Allofs gehört zu den EURO-Helden der DFB- Historie, denn er wurde 1980 durch ein einziges legen- däres Spiel Torschützenkönig. Es war nicht irgendein Spiel, sondern das ewige Prestige-Duell gegen die Nie- derlande. Beim 3:2 in Neapel erzielte Allofs in seinem 13. Länderspiel alle drei Tore. Das ist ihm in seinen wei- teren 55 Einsätzen nie mehr gelungen. Auch er muss sich vor EM-Turnieren Fragen nach seinem größten Spiel gefallen lassen. So muss man es formulieren, denn ein Nostalgiker ist er nicht. Schon 2000 sagte Allofs, er habe sich das Spiel nie mehr angesehen, „das mache ich grundsätzlich nicht. Vorbei ist vorbei. Man hat ja damals auch Fehler gemacht, und darüber würde ich mich nur ärgern.“ An die Tore konnte er sich schon gar nicht mehr so genau erinnern, nur dass sein Gegenspieler Wijnste- kers hieß. Allofs tut alles, um seinen Heldenstatus zu entkräften: „Ich habe sicher noch einige bessere Län- derspiele gemacht, aber das war persönlich mein erfolg- reichstes.“ In der Tat. Und wer drei Tore gegen die Nie- derländer erzielt, was nur Julius Hirsch anno 1912 (vier Tore) übertroffen hat, ist in Deutschland sowieso ein Held. Ob EM-Endrunde oder Testspiel. Die nachfolgenden Turniere haben aus den verschiedens- ten Gründen nicht so viele Helden produziert, was mit der gestiegenen Anspruchshaltung zusammenhängt. Verliert Deutschland ein Finale, so wie 1992 oder 2008, sucht man eher Sündenböcke als Helden. Nach einem Aus in der Vorrunde (1984, 2000, 2004) ohnehin. Eine Zeit für gleich mehrere EURO-Helden bot das Turnier 1996 in England. Ungeschlagen, aber keineswegs mühe- los, marschierte die deutsche Mannschaft durch das Tur- nier. Geglänzt hatten andere, den deutschen Stil prägten Typen wie Dieter Eilts und Steffen Freund. Der für Werder Bremen spielende Ostfriese schoss weder in England noch sonst irgendwann ein Länderspieltor, in 31 Einsät- zen nicht. Aber der als Reservist angereiste Eilts machte sich mit seiner Zweikampfstärke und seinem Bienenfleiß unverzichtbar. Gleiches galt für Steffen Freund von Borus- sia Dortmund. Von beiden ist keine legendäre Szene in Erinnerung geblieben, aber doch die Tatsache, dass sie sich für den Erfolg der Mannschaft geopfert haben. Freund schied im Halbfinale gegen England mit Kreuzbandriss aus, Eilts erwischte es in der 44. Minute des Finales gegen die Tschechische Republik (Bänderriss). Für beide bedeu- tete der Karrierehöhepunkt vor allem Schmerzen. Eilts stand mit Krücken auf dem Siegerfoto und verbrachte die Tage nach dem Triumph von Wembley im Reha-Zen- trum. Die Familie fuhr derweil ohne ihn in den Amrum- Urlaub. Und Freund flog zwei Tage nach dem Finale zur Operation nach Kalifornien, er musste zehn Monate pau- sieren. Aber die Erinnerung an England 1996 ist ihm nicht unangenehm. Der damalige EM-Song „Football‘s coming home“ war später der Klingelton seines Handys. D O P P E L P A C K I N W E M B L E Y Aber natürlich wäre die Helden-Saga unvollständig ohne die Geschichte des Oliver Bierhoff, die stark an Dieter Müller und Horst Hrubesch erinnert. Auch er ein Spätbe- rufener, der kurz vor dem Turnier von Berti Vogts in den Kader genommen wurde. Bereits 28 Jahre alt war der Legionär von Udinese Calcio, nur fünf Länderspiele hatte der Mittelstürmer bestritten. Bis zum Finale waren nur zwei dazugekommen, Tore keine. Als die Tschechen nach der Pause in Führung gingen, saß Bierhoff noch auf der Bank. In der 69. Minute wechselte Vogts ihn für Mehmet Scholl ein. Was dann geschah, erzählte er im „kicker“, der ihm nach dem Turnier gleich eine Serie widmete: „Als ich auf den Rasen lief, war ich mir einer Sache absolut sicher: Du hast nichts zu verlieren. Deine Chance wird kommen – wichtig ist nur, dass du sie auch nutzt. Sie kam schneller als erwartet. Vier Minuten später köpfte ich den Ausgleich. Wir haben solche Freistöße oft trainiert. Kurioserweise lief ich aber diesmal genau entgegen aller Absprachen, normalerweise sollte ich zum kurzen Pfosten. Diesmal bin ich zum langen, intuitiv, ohne genau zu wissen, warum.“ Jedenfalls kam der Ball von Christian Ziege genau auf Bierhoff, und der köpfte freistehend wie einst Dieter Mül- ler Deutschland vier Minuten nach seiner Einwechslung in die Verlängerung. Da glückte ihm dann auf Vorlage von Jürgen Klinsmann das erste Golden Goal der EM- Historie – es machte Deutschland zum dritten und bisher letzten Mal zum Europameister. Und Bierhoff, der von 575 möglichen Minuten nur 113 absolviert hatte, stand im Fokus. „Europameister! Goldener Bierhoff“, titelte „Bild“ am 1. Juli 1996. Als der Held nach Hause kam und sich nur noch nach Ruhe sehnte, belagerten schon 15 Freunde und Nachbarn die Wohnung seiner Eltern in Essen. Ein Empfang mit Transparenten, Pauken und Trom- peten. Dabei wusste der heutige Manager der National- mannschaft schon damals: „Den Titel hat die Mannschaft geholt. Nicht ich allein. Dass ausgerechnet ich die beiden Tore geschossen habe, ist eine glückliche Fügung.“ Eine, die man ewig mit ihm verbinden wird. 2012 und 2016 war für das ambitionierte Team im Halb- finale Schluss, besondere Geschichten für Spieler, die weniger im Fokus standen, gab es dennoch. Wie 2012 die von Lars Bender. Der Rechtsverteidiger, der bis dahin bei der EM zweimal in der Schlussminute eingewechselt worden war, schoss die DFB-Auswahl beim 2:1 gegen Dänemark ins Viertelfinale – nach einem Sprint über 80 Meter. Es blieb sein letzter Auftritt beim Turnier. Weit dra- matischer war die Rolle, die vier Jahre später in Frankreich dem Kölner Jonas Hector zukam. Im Elfmeterschießen des Viertelfinales gegen Italien hatten 17 Spieler bereits ihre Versuche abgegeben, drei Deutsche hatten verschos- sen, vier Italiener. Es stand 5:5 und Hector war neben Benedikt Höwedes und Manuel Neuer der einzige DFB- Spieler, der noch nicht geschossen hatte. Genauso kon- zentriert wie nervös ging er zum Punkt, ihm gegenüber Gianluigi Buffon, der große alte Mann, der schon so viel erreicht und gehalten hatte. Hector lief an, schoss mit links nach rechts und damit in die Ecke, in die auch Buf- fon flog. Unter dessen Körper rutschte der Ball durch und ins Tor. Deutschlands erster Turniersieg gegen Italien war perfekt. Und der Held von Bordeaux gab am Tag danach trocken zu Protokoll: „Er hat den Elfmeter nicht gehalten, also war er unhaltbar.“ Manchmal kann es so einfach sein. T E X T Udo Muras F O T O S (1) imago/Horstmüller, (2) Picture Alliance/dpa/Karl Schnoerrer, (3) Picture Alliance/Offside/Mark Leech, (4–5) imago/Werek, (6) imago/Kosecki, (7) Getty Images/Lars Baron