38 D F B - A K T U E L L 0 1 | 2 0 2 1 U N S E R G E G N E R „ES IST WICHTIG, ZU VERMITTELN, DASS DIE EM-TEILNAHME EIN UNGLAUBLICHER ERFOLG WAR, DASS WIR ABER NICHT WIE SELBST- VERSTÄNDLICH ERWARTEN KÖNNEN, DIES IMMER ZU SCHAFFEN.“ Durchaus, aber weniger für mich persönlich, ich bin ja erst in der Schlussphase einge- wechselt worden. Eine bessere Erinnerung habe ich an das Rückspiel in Hamburg, da habe ich die ganzen 90 Minuten auf dem Platz gestanden. Auch wenn wir mit 0:3 ver- loren haben, war es ein besonderes Spiel für mich, da ich auf meiner angestammten Posi- tion im Mittelfeld spielen durfte, das habe ich genossen. Sonst musste ich oft als Links- verteidiger spielen. Wenn Sie das deutsche Team von damals mit dem heutigen Team vergleichen – wo sehen Sie Unterschiede, wo Konstanten? Ich finde, die Deutschen können sehr stolz darauf sein, wie sich ihre Mannschaft seit- dem entwickelt hat. Klar, der WM-Erfolg 2014 war eine große Leistung, aber auch die Spiel- weise des Teams ist in meinen Augen attrak- tiver geworden. Deutschland war immer schon als Kollektiv sehr stark, mit sehr guten, athletischen, dynamischen Spielern wie Mat- thäus, Klinsmann und etwas später Ballack, allesamt smart, gradlinig und damit sehr erfolgreich. Solche Spieler hat die Mann- schaft immer noch, die braucht jeder. Inzwi- schen ist Deutschland aber auch im techni- schen Bereich eine Spitzenmannschaft, mit viel Ballbesitz und Dominanz. Wenn man heute an modernen Fußball denkt, denkt man automatisch auch an die deutsche Natio- nalmannschaft, ganz sicher. Island qualifizierte sich 2016 zum ersten Mal für ein großes Turnier, kam unter ande- rem nach einem Sieg gegen England ins EM-Viertelfinale. Auffällig war der große Stolz, den Ihre Landsleute dabei zum Aus- druck brachten. Ist dieses Gefühl geblieben? 2016 waren wir zum ersten Mal bei einem großen Turnier, zwei Jahre später zum ers- ten Mal bei einer WM. Das erste Mal ist immer besonders, in so vielen Dingen des Lebens. Jeder erinnert sich an seinen ersten Kuss oder sein erstes Auto. So ähnlich ist das auch mit dem ersten Turnier, denke ich. Dieses Gefühl ist fünf Jahre später vielleicht nicht mehr ganz so stark, wie es mal war. Aber es ist genau das, was wir wieder erreichen wol- len, indem wir leidenschaftlich auftreten und 2_2003 im Kopfball- duell mit Michael Ballack (rechts). 2 die Isländer begeistern. Der Stolz auf unser Land ist Teil unserer DNA, der Stolz auf das, was wir als kleines Land erreicht haben. Er ist auch für uns als Team sehr wichtig. Von außen betrachtet, wirkt die Entwick- lung der isländischen Nationalmannschaft beinahe märchenhaft. Das Land hat so viele Einwohner wie Bielefeld und nur an weni- gen Orten Naturrasen, trotzdem macht Ihre Mannschaft den großen Teams das Leben schwer und hat sich sogar 2016 und 2018 für große Turniere qualifiziert, 2020 auch beinahe. Wie lässt sich diese Entwicklung erklären, etwa im Vergleich zu Ihrer Zeit als Nationalspieler? Als ich spielte, also in den 90er und frühen 2000er-Jahren, hatten wir schon einige gute Spieler und alle waren Profis, die meisten im Ausland, das war schon ein Fortschritt. Das war vorher anders gewesen. Manchmal haben wir gute Resultate erreicht, wie das vorhin angesprochene 0:0 gegen Deutschland, aber wir konnten nie konstant auf diesem Niveau mithalten. Die prägenden Spieler der Gene- ration, die wir jetzt haben, haben 2011 schon an der U 21-EM teilgenommen, sie haben also schon früh Erfolg gehabt. Sie hatten und haben ganz andere Trainingsmöglich- keiten, als wir sie damals hatten, einige von ihnen sind schon relativ früh ins Ausland gegangen. Die Förderung durch den Ver- band und die Infrastruktur der Vereine haben sich verbessert, schon im Kinderbereich haben wir sehr gute und qualifizierte Trainer. Das ist ein sehr gutes Fundament. Und dann sind diese Spieler halt einfach sehr talentiert, in jeder Beziehung: auf und neben dem Platz, sehr professionell. Diese Mischung passt einfach. Wir tun alles dafür, mit dieser Gene- ration kein One-Hit-Wonder zu sein, sondern mit ihnen als Vorbilder viele Kinder zum Fußball zu bringen und sie gut zu fördern, um weiter erfolgreich zu sein. Ihr Vater hat für Island gespielt, Sie und Ihre beiden Brüder auch – wird da über- haupt über andere Dinge als über Fußball gesprochen? Ich würde sagen, 99 Prozent unserer Gesprä- che drehen sich um Fußball und ein Prozent der Zeit redet meine Mutter (lacht). Ist Ihr Vater etwas wehmütig, wenn er seine Spielerzeit mit Ihrer oder der heutigen ver- gleicht? Das Einzige, was er bedauert, ist, dass seine Chance, Profi zu werden und ins Ausland zu gehen, damals sehr klein war. Nur wenige aus seiner Generation, nur die Besten, haben