13 Also kein Abschalten, kein Seele-baumeln-Lassen? Es war ja nur gut eine Woche. Ich bin mit Sydney Loh- mann an den Achensee gefahren, wir haben ein biss- chen Wellness gemacht, waren im See, in den Bergen – aber auch schon wieder im Kraftraum. Klar, wir haben auch viel übers Turnier gesprochen, dazu waren die Ein- drücke noch zu frisch. Und wir wurden viel angespro- chen, da oben zwischen den Bergen (lacht). Deshalb: So richtig viel abschalten konnten wir nicht. Dann ging es im Verein schon weiter. Ich versuche so allmählich, wieder in den Alltag zu kommen. Ich muss mal wieder fürs Studium lernen, habe ja auch noch einen Freund zu Hause, habe Hobbys. All das ist zuletzt etwas zu kurz gekommen. Die EM und die Finalniederlage nach Verlängerung gegen England hängen Ihnen noch sehr nach. Sind Sie denn im Reinen mit sich, mit dem, was Sie dort gemacht haben, weil mehr einfach nicht ging? Es geht immer mehr, das ist ja das Ding. Ich hinterfrage mich auch jetzt noch viel zu sehr und denke darüber nach, was besser hätte sein können. Es ärgert mich, dass ich die Oberschenkelprobleme hatte. Ich hätte gerne das Turnier in Gänze genossen, jedes Spiel mitgenom- men. Selbst vor dem Finnland-Spiel fiel es mir schwer zu sagen, dass es keinen Sinn hat zu spielen, obwohl wir schon sicher im Viertelfinale waren. Ich glaube, dass ohne diese Probleme noch mehr bei mir drin gewesen wäre, was meine Leistung angeht. Denn man ist dann schon etwas gehemmt, etwas empfindlicher. Hätte, wenn und aber – ich weiß, dass ich zufrieden und stolz auf meine Leistung sein kann. Deshalb will ich es jetzt auch dabei belassen und die vielen positiven Erinne- rungen mitnehmen. Die Ergebnisse in diesem Jahr bis zur EM waren wech- selhaft. Sie sprachen in der Warner-Doku „Born for this“ davon, wie wichtig für Sie Freude als Basis des Fußballs ist. Wie ging es Ihnen nach dem 2:3 in Ser- bien mit dem Wissen im Hinterkopf, dass in ein paar Monaten eine EM ansteht? Das war unangenehm, klar, wir haben kein gutes Spiel gemacht. Ich war auch generell noch nicht zufrieden damit, wie es bei uns lief, auch mit meiner Rolle war ich noch nicht so glücklich. Im Nachhinein glaube ich aber, dass uns diese Niederlage gutgetan hat. So konnte jeder für sich, aber auch wir als Mannschaft noch mal reflek- tieren, was noch nicht passt, wo wir besser werden müs- sen bis zur EM. Für unseren Prozess, uns als Team zu finden, war das sehr wichtig. viele Regeln und konnten dadurch nicht so zusammen sein, wie es für eine Mannschaft wichtig ist. In Herzo- genaurach war es so, dass wir uns einfach mal, ja, aus- toben konnten. Wir konnten viel mehr unternehmen, uns miteinander austauschen, die Zeit auch genießen. Die tiefgründigen Gespräche mit Warner Bros. für unsere Doku haben auch sehr geholfen, weil du dadurch mehr reflektiert und mit einem anderen Blick auf die Dinge geschaut hast. Und dann haust du die Schweiz mal eben mit 7:0 weg und sagst: „Wir dürfen jetzt nicht euphorisch werden!“ Aber wir waren’s total. Dieses Spiel war ein Knackpunkt – und die Leistung im Auf- taktspiel gegen Dänemark dann erst recht. Da dachte ich mir: Wenn wir das so weiterziehen, dann heißt das Finale England gegen Deutschland. Interessanterweise hat mir Georgia Stenway erzählt, dass die Englände- rinnen das auch dachten. Das hat mich verwundert, denn wir waren ja nicht wirklich die Favoriten. Aber für sie waren wir’s. Den deutschen Nimbus gibt es also noch. Anscheinend. Die Deutschen haben halt viele Titel im Gepäck, mit ihnen ist immer zu rechnen. Das bringt die Geschichte so mit sich. Für uns war es aber ganz gut, dass sich die Favoritenrolle auf mehrere Teams verteilt hat, dass wir nicht den großen Druck hatten. Wir waren dadurch befreiter. Gefühlt waren es noch nie so viele Teams, die da genannt wurden, oder? Stimmt. Bei den Spanierinnen weißt du, die zerstören dich einfach spielerisch, England eher physisch oder im Konterspiel. Und da habe ich von Schweden, Frankreich oder den Niederlanden noch gar nicht gesprochen, alle mit eigenen spezifischen Eigenschaften. Der Fußball entwickelt sich weiter, das Niveau steigt. Deshalb war es von Anfang an spannend. Sie waren in England für die besonders wichtigen Tore zuständig: das erste im ersten Spiel, das erste im Vier- telfinale, der Ausgleich im Endspiel. Gerade das aller- erste zeugte von ungeheurem Willen. Der Ball musste rein, koste es, was es wolle. Entsprach das Ihrer Gefühlslage? Schon, ja, in dem Schuss lag viel drin. Für mich ging es auch darum, zu zeigen, was ich kann, wer ich bin. Es war ja in den letzten Jahren so, dass ich mehr im Hintergrund mein Spiel spielte, ohne groß ins Rampenlicht zu treten. Gefühlt musste ich mehr und noch mal mehr machen, um mehr gesehen zu werden als andere. Zum engen Favoritenkreis gehörte Deutschland in der öffentlichen Wahrnehmung eher nicht. Gab es einen Moment, ein Spiel, eine Aktion, in der Sie gespürt haben: Das wird gut, wir können bei dem Turnier rich- tig was bewegen? Das fing schon in der Vorbereitungszeit an. Vor allem die zwei Wochen in Herzogenaurach waren einfach überragend. Da hatten wir ein Testspiel gegen Jungs, und von unseren Abläufen, unseren Spielzügen her hatte ich das Gefühl, dass sich was verändert hat. Es machte alles irgendwie mehr Sinn. Alles war harmoni- scher auf dem Platz. Neben dem Platz wurde es auch immer besser. Vorher hatten wir wegen Corona sehr War das Ihre eigene Wahrnehmung oder die von außen? Beides. Meine eigene natürlich, aber es wurde mir ein paar Mal in meiner Karriere so auch gespiegelt. Ich glaube, dass es auch die richtige Wahrnehmung ist. Gegen Dänemark waren wir gut im Spiel, es gab ein, zwei Situationen, in denen ich schon ein Tor hätte machen müssen. In dem Moment dann habe ich gedacht: „Knall ihn einfach volle Kanne drauf.“ Zum Glück ist er dann reingegangen. Es lag eine gute Sym- bolik darin, auch für die Mädels, ein Zeichen: „Jetzt geht’s los.“ Und wir haben es als Team dann ja auch mit großem Willen bis zum Schluss durchgezogen.