18 D I E M A N N S C H A F T D F B - J O U R N A L 0 3 | 2 0 2 1 Es hat halt nicht gereicht. Und auch hier gilt: Die Vergan- genheit lässt sich nicht ändern. Ich war viel verletzt, ich musste mir früh die Frage stellen, ob mein Körper den Belastungen des Profi-Fußballs gewachsen ist. Was ich bedauere, ist, dass ich nicht heute Profi bin, mit den heu- tigen Möglichkeiten, auch den medizinischen. Bei mir ist damals viel falsch gemacht worden, ich habe meine Knie kaputt trainiert, damals wurde Raubbau am Körper betrie- ben. Ich würde gerne wissen, zu welchen Leistungen ich fähig gewesen wäre, wenn ich die Möglichkeiten gehabt hätte, die die Spieler heute haben. Wobei es nicht stimmt, dass ich keine Länderspiele gemacht habe. Für die U 18- Nationalmannschaft bin ich ein paar Mal aufgelaufen. Zweimal, wenn die Datenbanken stimmen, unter Trai- ner Dietrich Weise im Rahmen der U 18-EM 1983. Wie bedeutend waren diese Erlebnisse damals für Sie? Für mich war das groß. Für Deutschland zu spielen, zu den Besten meines Jahrgangs zu gehören, das war natür- lich etwas ganz Besonderes. Sie galten immer als Förderer der Jugend. Nun sagen Sie: Die aktuell beste Mannschaft spielt. Man kann dies als Abkehr vom Jugendtrend interpretieren. Sehen Sie hierin eine Gefahr, nimmt es jüngeren Spielern die Perspektive, wenn Sie wissen, dass die Tür ein Stück weit geschlossener ist? Die erste Länderspielphase hat doch schon gezeigt, dass wir natürlich auch auf die Jugend setzen. Grundsätzlich gilt: Wenn ich von zwei Spielern dieselbe Leistung bekomme, nehme ich tendenziell den Spieler, der jünger ist, ganz einfach, weil ich von ihm in Zukunft noch mehr erwarten kann, weil er eine Entwicklung noch vor sich hat. Wobei es keineswegs so ist, dass ältere Spieler sich nicht noch entwickeln und besser werden können. Miroslav Klose ist dafür ein Beispiel. Es wäre fatal gewesen, wenn wir ihm, als er 30 war, gesagt hätten, dass wir ihn aus Alters- gründen nicht mehr nominieren, weil wir den Weg für jün- gere freimachen wollen. Ich bin ein Freund von Jugend, ich bin aber in erster Linie ein Freund von Leistung. Bei mir wird es immer so sein, dass der bessere Spieler spielt. Über die Situation im Nachwuchs des deutschen Fuß- balls wird viel geredet. Wie schätzen Sie das Potenzial der U-Spieler ein? Mit dem Titel bei der U 21-EM hatten wir gerade einen großen Erfolg. In dieser Mannschaft waren einige Spie- ler, die sich noch entwickeln werden und denen ich zutraue, dass sie perspektivisch auch in der A-Mannschaft tragende Rollen spielen können. Mit Florian Wirtz, der ja beim U 21-Turnier auch schon dabei war, und Jamal Musiala, der sogar bereits die EM gespielt hat, haben wir zwei 18-jährige Spieler, die schon unglaublich weit sind. Möglicherweise haben wir ein paar Jahrgänge, bei denen es an Spielern fehlt, die offensichtlich herausra- gen. Ich habe aber gelernt, dass Entwicklungen schwer zu prognostizieren sind und dass es ein Fehler ist, Spie- ler zu früh abzuschreiben. Manchmal stagniert ein Spie- ler für einen gewissen Zeitraum, dann macht es „klick“ und er explodiert. Das zu erkennen und die Potenziale freizulegen, ist eine große Aufgabe, eine gemeinsame Aufgabe: nicht nur der Trainer des DFB, sondern auch der Vereinstrainer und der Trainer in den Nachwuchs- leistungszentren und an den Stützpunkten. Der Auftakt ist gemacht, der Start ist gelungen. Drei Spiele, drei Siege, 12:0-Tore. Mit ein wenig Abstand: Wie fällt Ihr Fazit Ihrer ersten Länderspielphase als Bundestrainer aus? Wir hatten einen guten Anfang, darüber freuen wir uns. Wir können die Dinge aber auch einordnen. Gegen Liechtenstein haben wir uns schwergetan. In den ers- ten Minuten hatten wir gute Chancen, wir haben sie aber leider nicht genutzt und dann ist es oft so, dass es gegen einen so tief stehenden Gegner zäh wird. Wenn ich Armenien und Island hinzunehme, ist es aber so, dass wir vieles von dem umgesetzt haben, was wir uns vorgenommen hatten. Wir haben hoch attackiert, haben den Gegner frühzeitig unter Druck gesetzt, wir waren mutig, aggressiv und kreativ. Insgesamt bin ich zufrieden. Gegen Liechtenstein hat das Ergebnis gestimmt, gegen Armenien war es klasse, gegen Island war es eine gute, eine solide Leistung. Als Trainerteam und mit dem Betreuerstab haben wir uns in der neuen Konstellation gefunden. Es hat gepasst, es hat Spaß gemacht. Es war ein guter Auftakt. Bis zur WM ist nicht mehr viel Zeit. Was muss in den kommenden Monaten passieren, damit Deutschland, die Qualifikation vorausgesetzt, in der Lage ist, in Katar gegen Mannschaften wie England und Frank- reich zu gewinnen? Wichtig sind Konstanz und Stabilität. Ausschläge nach unten darf man sich bei einer WM nicht leisten. Stabile Mannschaften zeichnen sich meist durch die Achsen im Zentrum aus. Das geht über den Torwart, die Innenver- teidiger, den Sechser und Achter bis in die Spitze. Die Kreativität, die Fantasie und die Dynamik, die auf den Außen bei uns vorhanden sind, hängen in ihrer Entfal- tung sehr davon ab, ob wir im Zentrum stabil sind. Für diese Stabilität benötigen Spieler und Mannschaften Vertrauen, und dieses Vertrauen gewinnt man durch gute Leistungen und gute Ergebnisse. Haben Sie für die WM eine Zielvorgabe? Ich bin immer vorsichtig mit solchen Dingen, zumal wir noch gar nicht qualifiziert sind. Aber klar: Ich habe keine Zweifel, dass wir das schaffen. Und dann? Aus der Erfah- rung der vergangenen Weltmeisterschaften weiß ich, dass so ein Turnier mehrere Phasen hat und ab dem Viertelfinale so richtig anfängt. Wenn man unter den letzten Acht steht, ist der riesige Druck weg. Es bis dort- hin zu schaffen, ist das, was man erwarten kann, was man erwarten muss. Alles, was danach kommt, sind Zugaben. Ich erinnere mich noch daran, wie sich in Bra- silien nach dem Spiel gegen Algerien mit dem Einzug ins Viertelfinale bei uns einige Dinge gelöst haben und sich eine neue Dynamik ergeben hat. Nach dem Einzug ins Viertelfinale waren alle Versagensängste weg, die Gedanken waren nur noch positiv. Wir wollen dabeiblei- ben, wir wollen weiter, wir sind noch nicht fertig. Wenn wir wieder in eine ähnliche Situation kommen, traue ich uns im kommenden Jahr viel zu. Die Mannschaft hat Qualität, die Mannschaft ist auf einem guten Weg – ver- stecken müssen wir uns nicht. I N T E R V I E W Steffen Lüdeke F O T O S (1–4) Thomas Böcker, (5) Philipp Reinhard, (6) Horstmüller