T E X T Thomas Kilchenstein Serbisches Trio bei der Eintracht (von links): Filip Kostić, Luka Jović und Mijat Gaćinović. 47 M ijat Gaćinović ist dann einfach losgelaufen, hat sich den Ball vorgelegt und Meter gemacht, Meter um Meter, immer weiter. Und hat tun- lichst vermieden, aufs Tor zu schießen, der Ball hätte ja vorbeigehen können; außerdem war es zu verlockend, einzig Mats Hummels rannte noch hinterher, war aber zu weit weg und das Ziel so sperrangelweit offen. Dann schob Mijat Gaćinović, dieser schmächtige junge Mann, endlich den Ball ins leere Tor, 3:1, Pokalsieg, hoch die Tassen in Frankfurt. Dieser Lauf des seit kurzem 24-jährigen Serben ist zehn Monate her, aber natürlich bleibt er unvergessen, in Frankfurt, bei der Eintracht, bei Gaćinović. Es war die letzte Aktion im DFB-Pokalfinale, mit der dem Under- dog Eintracht Frankfurt eine große Überraschung gelun- gen war, nämlich den FC Bayern München in einem Endspiel zu besiegen. Er weiß schon lange nicht mehr, wie oft er die Szene erzählen musste, wie oft er sie selbst gesehen hat, gerade jetzt wieder, da Eintracht Frankfurt sogar mit einem eigenen Film („Die Rückkehr des Pokals“) in die Kinos drängte. Der lange Lauf ins Glück des Mijat Gaćinović ist zum Sinnbild dieses Finales geworden, er hat 90 Minuten auf diese 20 Sekunden zusammenschnur- ren lassen. Das Witzige dabei: Erstens, das Tor war eigent- lich gar nicht mehr wichtig, ohnehin wäre Sekunden später abgepfiffen worden, es lief ja längst schon die Nachspielzeit. Zweitens, Mijat Gaćinović ist ja nun alles, nur kein eiskalter Knipser. Er selbst sagt, dass das Tore- schießen ja ganz nett sei, aber er liebe es auch, anderen aufzulegen. So eine Einstellung mag jeder Trainer, einen Gaćinović hat man ohnehin gerne im Team, weil er für die Mannschaft spielt, weil er die weiten Wege geht und sich für nichts zu schade ist. D U R C H D I E D E C K E Das mit dem Gerne-Auflegen würde einer wie Luka Jović wohl nie sagen. Dafür schießt er viel zu gerne Tore, wun- derschöne, spektakuläre, wichtige, in der Bundesliga, in der Europa League, seltener in der Auswahl Serbiens, weil er da noch nicht so oft zum Zug kommt. Aleksan- dar Mitrović steht vor ihm, der ist bislang gesetzt, da war nicht viel zu machen. Bei der WM in Russland durfte Jović im letzten Gruppenspiel gegen Brasilien (0:2) in den letzten beiden Minuten aufs Feld. Dennoch zählt der 21-Jährige derzeit zu den aufregendsten Stürmern in Europa. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein neues Kaufangebot kolportiert wird: Chelsea, Barcelona, Real, Liverpool und wer nicht alles – sie alle sollen sich die Finger nach dem Jungen lecken, der seit dieser Saison förmlich durch die Decke geschossen ist. Zeitweise traf er, statistisch gesehen, alle 97 Minuten ins Tor, ein unglaublicher Wert. Dabei hatte Jović seine Zukunft scheinbar schon hinter sich gehabt. In Lissabon, bei Benfica, hatte man ihn ins B-Team abgeschoben und keine Verwendung für die erste Mannschaft. Jović, der mit 16 sein Debüt bei den Profis von Roter Stern Belgrad gab und bereits als der „Falcao Serbiens“ gepriesen wurde, hatte nicht gerade eine sehr professionelle Berufseinstellung an den Tag gelegt. Der Vergleich mit Radamel Falcao, so erzählte er einmal, habe ihm geschadet, „weil jeder drei Tore pro Spiel von mir erwartet hat.“ In Lissabon steckte die Kar- riere in einer veritablen Sackgasse, aus der ihn Ben Manga, der Frankfurter Chef-Scout, befreite – und ihn zur Ein- tracht holte. Dort traf er von Anfang an verlässlich, erst im Training, dann nach Einwechselungen, dann regel- mäßig. „Ein absoluter Knipser“ sei er, „eine Granate“, lobte Trainer Adi Hütter; Vorstand Fredi Bobic verortete ihn bei „Weltklasse“, falls er noch den „einen Schritt mehr nach rechts und links machen“ würde. Sein Talent, genau da zu stehen, wo der Ball hinkommt, seine fast schon gnadenlose Kühle vor dem Tor, sei „ihm von Gott mitgegeben“, sagte er einmal. Und dass er seinem Vater zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet sei, denn er war es, der Klein-Luka ab dem achten Lebensjahr jeden Tag von seinem Heimatort Loznica zum Training nach Belgrad kutschierte – 150 Kilometer. M I T R E B I Ć Z U V I E R T Die vielleicht größte Entwicklung aller drei serbischen Nationalspieler ist Filip Kostić gelungen. Viele glauben bis heute nicht, dass in Frankfurt jener Filip Kostić spielt, der vorher beim VfB Stuttgart oder beim Hamburger SV spielte. Dort hatte der 26-Jährige mal recht, mal schlecht gespielt, mit beiden Klubs war er abgestiegen. Nach Frankfurt kam ein Spieler, der sehr gewissenhaft und professionell zu Werke geht, der den Ideen des Trainers offen gegenübersteht, der sich sofort integrierte. Der nicht nur aufgeblüht, sondern anscheinend ein anderer geworden ist. Das liegt natürlich in erster Linie daran, dass ihn Adi Hütter – zunächst der blanken Not gehor- chend – zum Linksverteidiger umschulte, es war einer der besten Einfälle der vergangenen Jahre. Endlich hatte der schnelle Kostić den Platz auf der Außenbahn, den er für sein Spiel benötigte. Seitdem marschiert er nahezu ununterbrochen die linke Flanke hoch und runter, macht Dampf und spult im Schnitt seine elf Kilometer ab. Dazu hat er das Verteidi- gen gelernt. Und er spielt seit dieser Saison so, als habe er schon immer links hinten agiert. Kein Wunder, dass inzwischen der linke Flügel (mit dem Kroaten Ante Rebić) die Schokoladenseite des Frankfurter Offensivspiels ist. In Frankfurt fühlt sich Kostić aus Kragujevac richtig wohl, mit seinen Landsleuten Jović, Gaćinović sowie Rebić verbindet ihn sogar eine Freundschaft, nicht nur das „Balkan-Gen“, das der frühere Trainer Niko Kovač einmal ausgemacht haben wollte. Gemeinsames Grillen in Frankfurter Hinterhöfen gehört zu ihrem Freizeitpro- gramm. „Wir verstehen uns einfach gut.“ Und: „Ich brauche eben eine gute Mannschaft, um mein Spiel zu machen – und die habe ich jetzt“, hat Kostić gesagt, und sogar das Ziel Champions League ins Visier genommen. Doch zuerst will das serbische Triumvirat aus Frankfurt der deutschen Auswahl alles abverlangen. Das Zeug dazu haben sie allemal.