29 T E X T Udo Muras A ls das Los gefallen war an jenem 10. Januar 1970, waren sich alle einig im deutschen Lager: Peru ist der schwerste Gegner. Das sagte der Bundestrai- ner, das sagte der Kapitän, das schrieben die Zeitungen. Dabei kannte die Südamerikaner keiner, was auch alle sagten und schrieben. Man hatte noch nie gegeneinander gespielt, eine lose Verabredung nach den Olympi- schen Spielen 1936 war nicht umgesetzt worden. So wurde Peru 45. Gegner der DFB- Historie. „Die Peruaner haben Argentinien aus dem Rennen geworfen, also müssen sie schon was können“, warnte Bundestrainer Helmut Schön, der freilich immer warnte. Damit rannte er beim Trainer des Gegners offene Türen ein. Der hieß Valdir Pereira, bes- ser bekannt als „Didi“, und hatte als Spieler mit Brasilien zweimal den WM-Pokal geholt (1958 und 1962). Da mangelt es einem nicht an Selbstbewusstsein, also sprach Didi am Rande der Auslosungsveranstaltung in Mexico City: „Es gibt in ganz Lateinamerika keine stärkere Mannschaft als Peru.“ Für die Experten war klar: Deutschland und Peru würden in dieser Gruppe D, in der auch Marokko und Bulgarien an den Start gingen, den Gruppensieger ausspielen. Experten können auch mal ins Schwarze treffen, denn genau so kam es am 10. Juni 1970 in León. Beide Teams hatten zwei Siege eingefahren und waren bereits im Viertelfinale, nun ging es noch darum, wer Brasilien und wer Eng- 10.06.1970 D E U T S C H L A N D – P E R U WM-Vorrunde in León 3:1 (3:1) Deutschland: Maier – Vogts, Höttges (46. Patzke) – Becken- bauer, Schnellinger, Fichtel – Libuda (74. Grabowski), Seeler, Müller, Overath, Löhr Peru: Rubiños – González, de la Torre – Chumpitaz, Fuentes, Mifflin – Challe (70. Cruzado), Sotil, León (56. Ramírez), Cubillas, Gallardo Tore: 1:0 Müller (20.), 2:0 Müller (26.), 3:0 Müller (38.), 3:1 Cubillas (43.) Schiedsrichter: Aguilar Elizalde (Mexiko) Gelbe Karten: keine Zuschauer: 17.875 land bekäme. „Wir wollen Gruppensie- ger werden, um in León zu bleiben“, sagte Schön – in dem Wissen, dass man dann wahr- scheinlich auf England träfe. Doch es gab Widerspruch. In seiner Biografie gestand Schön 1978, Spieler wären mit der „Idee“ auf ihn zugekommen, gegen Peru zu verlie- ren, denn „dann machen wir den Gruppen- zweiten und kommen gegen Brasilien. Die liegen uns doch mehr als die Engländer.“ Mit Sportsmann Schön war das nicht zu machen: „Ich weiß noch, dass ich richtig trotzig mit dem Fuß aufstampfte und wie ein störri- sches kleines Kind sagte: ‚Ich will aber die Engländer haben!‘“ Er wollte Revanche für Wembley, das verlorene Finale von 1966. Dafür musste Peru Federn lassen. Und so kam es. Detail am Rande: Erstmals seit 1954 spielte Deutschland bei einer WM wieder in Grün, mit weißen Hosen. V I E R T O R E Z U R H A L B Z E I T Mit Anpfiff ergab sich ein munteres Spiel, das von einem Mann geprägt wurde: Gerd Müller. Der Bundesliga-Torschützenkönig von Bay- ern München, der gegen Bulgarien dreimal getroffen hatte, wiederholte das Kunststück diesmal schon vor der Pause – und fabrizierte damit den zweiten und schnellsten deutschen WM-Hattrick. Das 1:0 fiel „wie der Blitz aus heiterem Himmel“ („kicker“). „Stan“ Libuda flankte von rechts, Rubiños verfehlte, Müller nahm mit der Brust an und spitzelte flach ins lange Eck (20.). Vor dem 2:0 tanzte Linksau- ßen Hannes Löhr seinen Gegenspieler aus und flankte in den Fünf-Meter-Raum. Der „Bomber“ war prompt wieder zur Stelle, jetzt mit links (26.). Fehlte nur noch ein Kopfball- tor von Müller und selbst das kam: In Minute 38 bediente ihn Uwe Seeler mit einer eigent- lich zu hohen Flanke, Müller erreichte sie trotzdem und köpfte unhaltbar ein. Die Peru- aner verkürzten noch per Freistoß zum 3:1-Endstand. Der von Karl-Heinz Schnellin- ger abgefälschte Ball kullerte ins Tor, Sepp Maier war auf dem Weg in die andere Ecke (43.). Offiziell hatte Teófilo Cubillas das Tor geschossen. Die zweite Spielhälfte lieferte nur wenige Höhepunkte, aber der Bundes- trainer war zufrieden: „Es war ein gutes, faires Spiel, das sicherlich auch den Zuschauern Spaß gemacht hat.“ Erstmals hatte Deutschland alle drei Vor- rundenspiele gewonnen, erst 2006 wurde der Rekord eingestellt. Kollege Didi fand wieder große Worte: „Wir wurden von einer großen Mannschaft besiegt, einer Mann- schaft, die in dieser Meisterschaft sehr weit kommen wird, und die außerdem einen Supertag hatte, weil ihr alles gelang.“ Das darf sich gerne wiederholen.