23 T E X T Olaf Kupfer D ie Tage danach waren ungemütlich, auch wenn Julian Brandt niemand ist, dem der Misserfolg zu lange anhängt. Die WM in Russland musste aus den Kleidern, abschalten, Freunde treffen, dann Urlaub. Vier Wochen hatte ihm sein Trainer Heiko Herrlich gegeben. „Enttäuschende WM und sehr schwer zu verdauen, aber wir werden wiederkommen. Vielen Dank an alle“, hatte Brandt getwittert und damit alles reingelegt, was man von einem wie ihm erwarten durfte. Selbstkritik, aber auch Signalgeber, Mutmacher. Wenn es dunkel ist, muss einer das Licht anmachen. Brandt, 22, gebürtiger Bremer, ältester von drei Brüdern, immer Werder-Fan und dann so talentiert, dass die Fußball-Reise ihn über den VfL Wolfsburg 2014 zu Bayer Leverkusen geführt hat, eignet sich dafür. Für die Öffentlichkeit war er ein Lichtblick dieser Fußball-WM. In allen drei WM- Spielen eingewechselt, einige Minuten gewir- belt, das deutsche Spieltempo angehoben – das hat abseits aller Enttäuschung Hoffnung gemacht für die Zukunft, die jetzt in der UEFA Nations League gegen Frankreich in München beginnt. Mit aufbereiteter Vergangenheit. „Es ist schon typisch deutsch, dass in der WM-Analyse jeder Stein umgedreht werden muss“, sagt Brandt. Jeden Tag steht in der Zeitung, was schieflief in Russland. Und Brandt hat vieles gelesen. Dabei müsse man jetzt gar nicht in Panik ver- fallen, sagt er: „Klar ist: Wir haben schlecht gespielt und müssen jetzt zusehen, dass wir in zwei Jahren wieder ein gutes Turnier spielen.“ Fußballer müssen auch Pragmatiker sein, wenn es um Reflexion geht. Wie sollte man mit gefüll- ten Rucksäcken Tempo aufnehmen können? Wichtig ist: lernen. Und man spürt, dass Brandt seine Lehren gezogen hat. H O C H V E R A N L A G T E O F F E N S I V E „Wir müssen uns wieder auf die Basissachen besinnen. Wir haben die WM und den Confe- derations Cup gewonnen und eine gute Qua- lifikation gespielt. Und dann ein Turnier erlebt, bei dem wir vielleicht auch wegen der Trium- phe die ,deutschen‘ Tugenden haben vermissen lassen“, sagt er. „Zu unkonzentriert, zu schlud- rig, zu viele Fehler“ – Brandt schont sich und die Mitspieler nicht. „Ich nehme mit: Qualität alleine reicht nicht. Egal, wie gut du bist: Wenn du nicht bei 100 Prozent bist, fliegst du raus. Laufen, verteidigen und kontern können sie inzwischen alle“, sagt er. Und schlussfolgert: „Aber wer fällt, kann auch wieder aufstehen.“ Er war ja froh, überhaupt dabei zu sein in der hoch veranlagten DFB-Offensive; das war ja lange nicht klar, weil Brandt, den sein Vater Jür- gen einst acht Jahre beim SC Borgfeld und beim FC Oberneuland trainiert hat, noch nicht den ganz großen Durchbruch erlebt hat, der eben keine Fragen mehr lässt. Ob er jetzt bereit ist für Führungsaufgaben beim DFB? Bereit für einen großen Schritt? Niemand könne erwar- ten, sagt er, dass er im nächsten Spiel 15 Tore schieße und vorangehe, „das bin ich nicht – und das werde ich auch in zwei, drei Wochen nicht sein. Das braucht noch.“ Aber das kann kom- men. „Vom Typ her könnten Spieler wie Joshua Kimmich oder Leon Goretzka, der bei unseren U-Mannschaften immer mein Kapitän war, voran- gehen. Oder Julian Draxler, der das beim Con- fed-Cup gut gemacht hat. Aber eben auch Manuel Neuer, Mats Hummels oder Toni Kroos“, sagt er. „Wir haben viele.“ Alt raus, jung rein? Davon hält er gar nichts. „Wir brauchen die Mischung aus hungrigen Spielern und jenen, die erzählen können, was es braucht, um Titel zu gewinnen.“ Er selbst sei bisher „nicht so bekannt dafür gewesen, dass ich auf dem Platz viele Worte verliere. Aber als Dritter oder Vier- ter könnte ich schon das Wort ergreifen“, sagt er und lacht. Brandt findet erst einmal wichtig: „Ich will Taten sprechen lassen.“ „W I R B R A U C H E N D I E M I S C H U N G A U S H U N G R I G E N S P I E L E R N U N D J E N E N , D I E E R Z Ä H L E N K Ö N N E N , W A S E S B R A U C H T, U M T I T E L Z U G E W I N N E N .“ Er hat das ja alles schon erlebt. Es sei jetzt eine ähnliche Situation, wie vor etwas mehr als einem Jahr in Leverkusen. „Sicherlich mit einem grö- ßeren Dämpfer. Auch damals habe ich mich gerne dazu bekannt, beim Neuanfang mithel- fen zu wollen. Vom Boden wieder nach oben. Das ist uns hier gelungen“, erzählt er und sig- nalisiert: Das kann auch bei der Nationalmann- schaft funktionieren. Druck? Ja, aber: „Wir haben es uns ja selbst zuzuschreiben.“ Die Spiele gegen Frankreich und Peru seien aber zuerst Chancen: „Wir können die Menschen auch schnell wieder für uns gewinnen, wenn wir erfolgreich Fußball spielen.“ Jetzt will er auch den Bundestrainer vollends überzeugen. „Joachim Löw macht sich viele Gedanken, arbeitet sehr akribisch. Ich bin dem Trainer sehr dankbar für das Vertrauen der letzten zwei Jahre. Wenn er aufgehört hätte, hätte ich es schade gefunden“, sagt Brandt. „Ich bin froh, dass auch er Teil des Neuanfangs sein will.“ 1_19-mal spielte Brandt bislang für die DFB-Auswahl. 2_In den drei WM- Spielen wurde der Leverkusener dreimal eingewechselt – und traf zweimal den Pfosten. 3_2017 gewann Brandt den Confederations Cup, im Jahr zuvor Olympia-Silber.