„EGIDIUS BRAUN WAR EIN GROSSER PRÄSIDENT“

Fünf Tage vor dem Tod von Egidius Braun wurde Bernd Neuendorf von den Delegierten des 44. Ordentlichen DFB-Bundestages am 11. März 2022 in Bonn zum 14. DFB-Präsidenten gewählt. Der 60-Jährige ist in dieser Funktion auch Vorsitzender des Kuratoriums der DFB-Stiftung Egidius Braun. Im Gespräch berichtet Neuendorf über seine Begegnungen mit Egidius Braun, vom Miteinander zwischen Profis und Amateuren und über die Bedeutung der Stiftungsarbeit im DFB. 

Egidius Braun war Ihr Vorgänger als Präsident, erst am Mittelrhein und jetzt auch beim DFB. Was verbindet Sie mit dem verstorbenen DFB-Ehrenpräsidenten?
Egidius Braun hat sich in beiden Verbänden größte Verdienste erworben und wurde nach seiner jeweiligen Amtszeit zu Recht sowohl zum Ehrenpräsidenten des FVM als auch des DFB ernannt. Es ist mein Privileg, heute in dieser Tradition zu stehen. Dabei verbindet uns unsere nordrhein-westfälische Heimat, wir teilen gemeinsame Wertvorstellungen und die Leidenschaft für Alemannia Aachen. 

Was bleibt von Egidius Braun?
Egidius Braun bleibt eine der prägenden Persönlichkeiten des DFB in der Nachkriegszeit. Er geht als ein großer Präsident in die Geschichte unseres Verbandes ein. Dabei ist festzuhalten, dass er sich vor seiner Zeit als Präsident über 15 Jahre als Schatzmeister engagierte. Über nahezu ein Vierteljahrhundert war Braun also als Präsident und Schatzmeister für die Fußballerinnen und Fußballer in Deutschland engagiert. Niemand hat länger als er höchste Ämter in unserem Verband bekleidet. Er hat die soziale Verantwortung als dritte Säule in der DNA des DFB verankert. Für alles, was er geleistet hat, sind wir ihm zu großem Dank verpflichtet.

Haben Sie Egidius Braun persönlich treffen können? 
Ja, ich hatte die Freude, anlässlich der Vollendung seines 95. Lebensjahres im Februar 2020 bei Egidius Braun in Aachen zu Gast sein zu dürfen. Damals hatte ich auch die Gelegenheit, seine liebe Frau Marianne kennenzulernen. Sie war seine große Stütze. Später habe ich den Ehrenpräsidenten noch ein weiteres Mal zusammen mit Alfred Vianden in privater Atmosphäre be­­sucht. Er hat mich auch in meiner Kandidatur um das Amt des DFB-Präsidenten bekräftigt.

Anders als Braun haben Sie nie die „Ochsentour“ als Fußballfunktionär durchlaufen müssen. Bedauern Sie heute, dass Ihnen da Erfahrungen fehlen?
Ich glaube nicht, dass mir Erfahrungen fehlen. Im Gegenteil. Ich war selbst als Fußballer aktiv, habe dann durch meine politische Arbeit den Sport und auch den Fußball als Staatssekretär erleben und begleiten dürfen. Als FVM-Präsident habe ich vor meiner Wahl zum DFB-Präsidenten über drei Jahre eindrucksvoll erleben dürfen, welch großartiges Engagement in unseren Fußballvereinen geleistet wird.

Während Ihrer drei Jahre als FVM-Präsident haben Sie jedenfalls den Spitzenfußball stark gemacht. In der in­­offiziellen Bundesliga-Wertung der DFB-Landesverbände liegt der FVM aktuell auf Platz eins, denn mit Bayer Leverkusen und dem 1. FC Köln sind gleich zwei Klubs im oberen Tabellendrittel vertreten. Wie vertraut war Ihr Austausch mit den beiden BL-Klubs?
Für mich gilt das Wort von Egidius Braun: Ohne Spitze keine Breite und ohne Breite keine Spitze. Die Einheit des Fußballs zu bewahren, das Miteinander zwischen Profis und Amateuren zu fördern, zuzuhören, auszugleichen, das ist es, worauf es meines Erachtens ankommt, und genau darauf habe ich auch im FVM größten Wert gelegt.

Zurück zur Stiftung: Egidius Braun hat als Schatzmeister der UEFA nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schon früh karitative Projekte in Osteuropa begonnen, unter anderem im ukrainischen Charkiw. Diese wurden 2001 in der DFB-Stiftung Egidius Braun manifestiert. Sie selbst haben in Ihrer Antrittsrede klar Stellung bezogen und den Abzug der russischen Truppen gefordert. Welche Projekte betreibt die EBS aktuell im Zusammenhang mit der Ukraine?
Das Wirken von Egidius Braun für notleidende Kinder und Jugendliche in Osteuropa lebt heute in der Stiftung eindrucksvoll weiter. Es steht für uns alle außer Frage, in diesen Stunden größter Not solidarisch an der Seite unserer Freundinnen und Freunde in der Ukraine zu sein. Die Stiftung hat bereits am 1. März 2022 eine erste Soforthilfe für Kinderhilfsprojekte geleistet. Darüber hinaus unterstützen wir derzeit beispielsweise engagierte Fußballvereine in Deutschland, stellen in der Ukraine Lebensmittel zur Verfügung und unterstützen unsere Freunde Wladimir und Vitali Klitschko bei ihrer Aktion #Weareallukrainians.

Die Anerkennungsprämie für Klubs, die Flüchtlinge zum Fußballspielen einladen, kommt an der Basis gut an. Was macht gerade Fußballvereine zu Integrationsmotoren?
Der Fußball ist tatsächlich der oft beschriebene Spiegel der Gesellschaft. Themen, die uns gesellschaftlich umtreiben, treiben auch die mehr als 24.000 Fußballvereine in unserem Land um. Das gilt insbesondere auch für das Thema „Integration“. Unser Sport ist weltweit bekannt und beliebt. Die Regeln sind überall gleich. Mit geeignetem Schuhwerk, einem Ball, Shirt und kurzer Hose kann es losgehen. Diese Popularität und die geringen Zugangsvoraussetzungen ermöglichen es, dass man schnell dabei sein kann. Gleichzeitig gehen viele Klubs aktiv auf Flüchtlinge zu und laden zum Mitmachen ein. Das ist gelebtes gesellschaftliches Engagement, ermöglicht den Vereinen oft aber auch, neue Mitglieder für sich zu gewinnen und so zum Beispiel im ländlichen Raum den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten.

Mit Ralph-Uwe Schaffert und Stephan Grunwald vertreten zwei neue Kollegen das DFB-Präsidium im Stiftungsvorstand. Sie selbst leiten als Vorsitzender das Kuratorium. Darf der nicht unerhebliche zeitliche Aufwand als Beleg für die Bedeutung der Stiftung gesehen werden?
Alle drei DFB-Stiftungen haben eine wichtige Bedeutung und einen hohen Stellenwert in unserem Verband. Das spiegelt sich einerseits im starken Engagement der Mandatsträger des DFB, andererseits aber auch darin, dass die Stiftungsarbeit durch Persönlichkeiten unterstützt wird, die sich als Botschafter oder in den Kuratorien mit uns engagieren. Das wissen wir auf besondere Weise zu schätzen.

Kommen wir zum Ehrenamt, dem zunehmend spürbar der Nachwuchs fehlt. Das Monetäre müsste eigentlich stimmen. Gerade der DFB hat dafür gesorgt, dass der Steuerfreibetrag bei der Übungsleiterpauschale immer wieder angehoben wurde. Und die DFB-Stiftungen zeichnen permanent vorbildliches Ehrenamt aus. In Erinnerung an Egidius Braun gibt es die Egidius-Braun-Akademie für besonders engagierte junge „Ehrenamtler“. Was muss also noch passieren, um wieder mehr junge Frauen und Männer von einer ehrenamtlichen Tätigkeit zu überzeugen?
Wir leben in einer Zeit, wo man sich einerseits immer mehr leisten kann und andererseits die Wahrnehmung eines Ehrenamts in der Familie nicht mehr zwingend vorgelebt wird. Für die Generation unserer Eltern und Großeltern war es gerade in ländlichen Gebieten nahezu selbstverständlich, ein Ehrenamt wahrzunehmen. Heute sind die Zeiten schnell­lebiger geworden, es gibt viele Möglichkeiten, sich zu engagieren und seine Interessen auszuleben. Gleichzeitig stellen junge Menschen heute andere An­­sprüche an ein Engagement, denken projektbezogener, wollen schnell Ergebnisse sehen und sich in Gruppen engagieren. Diesen Wandel zu gestalten, ist gemeinsame Aufgabe der Verbände und Vereine und mit Blick auf das Thema „Anerkennung“ auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es lohnt sich, sich für andere einzusetzen und gemeinsam Ziele zu erreichen.

Apropos Ziele: Welche Ziele haben Sie sich für Ihre erste Amtszeit gesetzt?
Der DFB hat zuletzt unruhige Zeiten erlebt. Ich möchte mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Präsidium unseren Verband wieder in ruhigere Fahrwasser bringen. Wir müssen zugewandt und ehrlich sein, müssen den engagierten Menschen zuhören und Lösungen für die vielfältigen Herausforderungen dieser Tage erarbeiten. Wir müssen jeden Tag aufs Neue bestätigen: Fußball war, ist und bleibt mehr als ein 1:0!