73 N amen trug er viele. „Kaiser“ allen voran, „Lichtgestalt“ oder, weniger wohlmeinend, „Firle-Franz“. Für den „kicker“ war er „das Glückskind, das perfekt sein wollte.“ Franz Beckenbauer ist auf der ganzen Welt bekannt. Einen eleganteren Fuß- baller hat Deutschland vor und nach ihm nicht gesehen und dazu war der Mann, der den Libero zwar nicht erfand, aber hoffähig machte, enorm erfolgreich in fast allem, was er tat. 1945 in den ersten Nachkriegsmonaten geboren, gehörte der Sohn eines Postange- stellten zu jener Generation von Straßenfuß- ballern, der der deutsche Fußball seine größ- ten Erfolge verdankt. Die Kinder hatten nichts anderes als Fußbälle oder Lumpen, aus denen sie Bälle machten. Als Tore dienten Keller- fenster, der Gegner war die Bande aus der Nachbarstraße. So wuchs auch Franz Becken- bauer auf, in einfachen Verhältnissen in Mün- chen-Giesing. Er war erblich vorbelastet, der Onkel gehörte zum Kader der ersten Meis- termannschaft des FC Bayern von 1932. Der Vater zahlte ihm die ersten Fußballschuhe, denn das Talent drängte in den Verein. Beim SC München 06 ragte er heraus und als sich dessen Jugend auflöste, stellte sich die Frage: zu den Roten oder den Blauen? Die Blauen des TSV 1860 waren populärer und Klein- Franz hatte seine Wahl schon getroffen, als ihn die berühmte Watschn eines „Löwen“- Spielers mitten auf dem Platz traf, den Franz allzu genervt hatte mit seiner Brillanz und Lässigkeit. „Zu dem Klub geh‘ ich nicht“, sagte er sich und ging 1958 zu den roten Bayern. Was in den folgenden 19 Jahren geschah, ist längst Vereinsgeschichte, goldumrahmt. Mit 17 durfte er schon in der ersten Mann- schaft spielen, er begann seine Karriere als Linksaußen, dann spielte er im Mittelfeld. Jeder seiner Trainer suchte und fand ein Plätz- chen für das Supertalent, das drei Jugend- länderspiele machte und unter besonderer Aufsicht von DFB-Trainer Dettmar Cramer stand. Denn Franz war schon mit 17 Vater geworden, damals ein Riesenskandal. Zur Jugendnationalmannschaft fuhr er als ein- ziger Roter mit sechs Blauen hin, wie er immer wieder gern erzählt. Aber die große Bayern- Zeit sollte kommen und damit die Wachab- lösung im Münchner Fußball. S O F O R T E R F O L G R E I C H 1965 kamen auch die Bayern in die Bundes- liga, seitdem sind sie dabei. Die Elf von „Tschik“ Cajkovski, die im Aufstiegsjahr 146 Tore erzielt hatte, strotzte nur so vor Selbst- vertrauen. Kein normaler Aufsteiger, gewiss nicht. Platz drei auf Anhieb und gleich Pokal- sieger. Und Beckenbauer, der Überflieger, kam schon nach sechs Bundesligaspielen zu seinem Länderspieldebüt beim wichtigen 2:1 in Stockholm, das Deutschland die WM- Fahrkarte sicherte. Starthilfe leistete der große Uwe Seeler, bei dem sich Bundestrai- ner Helmut Schön Rat holte und erhielt: „Dann nehmen Sie doch den Beckenbauer!“ Schön nahm ihn und fand in ihm einen immer loyalen Ansprechpartner. Er wurde sein Kapi- tän und Libero. In 103 Länderspielen setzte er ihn stets von Beginn an ein, davon 60-mal in Folge (vom 9. September 1970 bis zum 23. Februar 1977) – bis heute DFB-Rekord. „WEDER ÜBERHEBLICH NOCH LASCH IN SEINER EINSTELLUNG – EINFACH EIN PFUNDSKERL“ Helmut Schön, 1973 Dass er nicht überheblich sei, teilten nicht alle. Es lag an seiner lässigen Spielweise. Er machte eigentlich keine Fehler und spielte auch in höchster Bedrängnis präzise Pässe mit dem Außenrist. Wo andere den Ball tra- ten, streichelte er ihn. Solchen Zuspielen haftet der Hauch von Arroganz an, man lernt sie nicht in der E-Jugend. Erst kommt die Innenseite, dann der Spannstoß. Das muss genügen für den Normalgebrauch. Wer den Außenrist nimmt, arbeitet Fußball nicht, er zelebriert ihn. Und schaut auf die anderen herab. So das Klischee. „Bei mir pfeifen sie schon, wenn ich auf den Platz komme. Meine Art auf dem Platz kommt bei einzelnen Bevölkerungsschichten nicht an; ich winke oft auch ab. Dann wirkt das so, als ob ich unzufrieden sei und über meine Kameraden schimpfe oder über die Zuschauer. Dabei schimpfe ich in Wirklich- keit über mich selbst.“ (Beckenbauer, 1973) Der junge Beckenbauer polarisierte, ohne Frage. Besonders im Westen waren die Bay- ern-Stars unbeliebt. In Oberhausen wurde er nach Abpfiff mal mit einer Fahnenstange geschlagen und konnte sich gerade noch in den Bus retten. Es war durchaus auch Neid auf einen, der schon in jungen Jahren Milli- onär wurde. Dabei nutzte er nur die Chan- cen, die ihm das Leben bot, ohne zu verges- sen, wie es einmal war. Einmal die Woche besuchte er Mutter Antonia, die auch seine Autogrammpost beantwortete und die Kar- ten versandte. Deshalb gab er deren Adresse auch als Autogramm-Anschrift an – und genoss ansonsten die Vorzüge des Ruhms. Er war der erste Profi, der einen Manager hatte: Robert Schwan, zugleich Bayern- Manager. Eine heikle Konstruktion, die in der Mannschaft kritisch beäugt wurde. Schwan machte seinen Schützling zu einem der ers- ten Werbestars der Liga. Dann fing Becken- bauer auch noch an zu singen: „Gute Freunde kann niemand trennen“, trällerte er 1967 im Mannschaftskreis. Er im Fokus, die anderen als Staffage. Das kann sich nur leisten, wer auf dem Platz voranging. Nun, das tat er. F U S S B A L L E R D E S J A H R E S 1966 stand er mit seinen 20 Jahren bereits im legendären WM-Finale von Wembley und wurde zu Deutschlands „Fußballer des Jah- res“ gewählt, wie noch dreimal (1968, 1974, 1976) und damit so oft wie kein Zweiter. 1967 holten die Bayern ihren ersten Europapokal (der Pokalsieger), 1969 das erste Double. 1970 wurde Beckenbauer mit der National- mannschaft bei der WM in Mexiko Dritter und mancher leistete Abbitte, als der ver- meintliche Schönspieler gegen Italien mit angeknackster Schulter durchhielt. Das Bild vom Arm, der in der Schlinge hängt, erin- nerte eine englische Zeitung an einen „ver- wundeten, besiegten, aber stolzen preußi- schen Offizier“ („Evening Standard“). Es war sein letztes Turnier im Mittelfeld, nach Mexiko bekam er auch im DFB-Team die Rolle, die er sich im Verein längst verdient hatte: die des freien Mannes vor und hinter der Abwehr, des Liberos. Die glorreichen Bayern der Siebziger brauch- ten deshalb keinen Spielmacher, es reichte, wenn ihr Abwehrchef gelegentlich nach vorne kam und mit dem „Bomber der Nation“, Gerd Müller, die gefürchteten Doppelpässe spielte, gegen die es kein Rezept gab. Da war sie, die von ihm angestrebte Perfektion, die auch die DFB-Auswahl im Frühsommer 1972 streifte, als sie in Brüssel Europameister wurde. Dank der Regisseure Beckenbauer und Günter Netzer, die im Wechsel die Angriffe vorantrieben. Mit Ramba-Zamba- Fußball in ein neues Zeitalter, von „Fußball 2000“ schwärmte „L’Équipe“. Und der Kapi- tän der angeblich besten deutschen Natio- nalmannschaft wurde „Europas Fußballer des Jahres“, wiederholte das Kunststück 1976. Auch das schaffte kein anderer Deut- scher. Die Siebziger waren sein Jahrzehnt, 1974 sein größtes Jahr. Mit 28 wurde er in München Weltmeister, sechs Wochen nach dem Gewinn des Landesmeisterpokals, auf den die Bayern noch zwei weitere folgen ließen. Meister wurde er auch, perfekt war der erste Hattrick der Bundesligageschichte (1972 bis 1974). Es war die Zeit, als die Bun- desliga als die beste Liga der Welt galt und „Kaiser Franz“ war der Beste der Besten. „ICH MESSE DER ANREDE ,KAISER FRANZ‘ KEINERLEI BEDEUTUNG BEI. ICH WEISS NICHT, WER SIE ERFUNDEN HAT. VIELLEICHT EIN JOURNALIST, DEM MEIN NAME ZU LANG WAR.“ Franz Beckenbauer, 1977