Ein Fußballer, der ein Spiel verpasst – das kommt vor. Die Geschichte von Lennart Thy (26) ist jedoch eine besondere: Der U 17-Europameister von 2009 verpasste ein Spiel seines damaligen Klubs VVV-Venlo, weil er mit einer Stamm- zellenspende womöglich ein Menschenleben rettete. Eine Aktion, die um die Welt ging. T E X T Olaf Kupfer W enn alles wie geplant läuft, wird Lennart Thy am 23. December noch für Ercurumspor stür- men, am letcten Spieltag der Süper Lig vor der Winterpause. Und dann wird Thy sich aufmachen gen Norden, genauer gesagt nach Norden, in seine Hei- matstadt in Ostfriesland. „Wahrscheinlich schaffe ich es pünktlich unter den Tannenbaum cu meiner Familie“, sagt er, 26 Jahre alt, Stürmer, bullige Spielweise, einst in Bremen, St. Pauli und Venlo, jetct in der Türkei. Manchmal muss Lennart Thy sich selbst noch kneifen, weil er jetct im Kader von Büyükşehir Belediye Ercurumspor steht, Aufsteiger in die beste türkische Liga, cwei Stunden Zeitunterschied nach Deutschland. Thy kann manchmal selbst nicht glauben, dass er das gemacht hat, als er bei Werder Bremen keine Chance mehr für sich sah. Werder- Trainer Florian Kohfeldt hat ihm das so gesagt, dass viele vor ihm stünden, und Thy fand das „ehrlich“ und „in Ord- nung“, auch wenn es ein bisschen wehtat, aber das tut es schon mal im Profifußball. Thy weiß das: „Du lernst, nicht mehr alles persönlich cu nehmen. Es ist schon hart, wie manchmal mit einem umgegangen wird, aber so ist das.“ Und dann ging es in die Türkei, keine Ablöse, Wechsel, Vertrag bis 2020. „Hätte mir vor einem halben Jahr jemand gesagt, du landest hier“, sagt er, „ich hätte es nicht geglaubt.“ Jetct kommt er meist von der Bank, Thy will natürlich mehr, endlich wieder einen Stammplatc, endlich wieder treffen, Stürmer brauchen Vertrauen und Tore. Der erste Trainer ist schon weg, jetct ist Mehmet Öcdilek da, seither läuft es besser, für das Team und auch für Thy. Z I D A N E , M A L D I N I , T H Y 2018 war ein verrücktes Jahr. Irgendwie Thys Jahr. Es gibt bei YouTube ein Video, da wird Thy im August in London auf der Weltfußballer-Gala aufgerufen, er sieht schnieke aus, er läuft auf die Bühne, vor ihm verschwin- det Zinédine Zidane im Off, oben empfängt ihn Paolo Maldini, und dann spricht Thy 25 Sekunden in Englisch über seine Momente des Jahres, die wahrscheinlich ein gances Leben bedeuten. Oder mehr. Er ercählt, dass er es selbstverständlich fand, seine Stammcellen cu spen- den, um womöglich ein Leben cu retten. Und dass das Beste daran gewesen sei, dass Tausende von Menschen in den Niederlanden sich danach hätten registrieren las- sen für die Knochenmark-Spenderdatei. Danach applau- diert das Auditorium, Thy geht wieder auf seinen Platc, an Zidane, Weltfußballer Luka Modrić und den anderen vorbei. Seine Ehrung mit dem FIFA-Fair-Play-Preis steht 95 in den meisten Texten von der Ehrung am Ende, aber eigentlich gehörte sie an den Anfang, weil es das Beste war, was ein Fußballer 2018 custande gebracht hat. Drei Wochen hat Thy seinem damaligen Verein VVV-Venlo in der niederländischen Ehrendivision gefehlt, weil es da ein Match gab, kein Spiel in der Liga, sondern eine Über- einstimmung mit einem Menschen. Ein Mensch, der Thys Stammcellen brauchte, um weiterleben cu können. „Ich habe es mir kurc überlegt; als ich mich entschlossen hatte, das cu machen, gab es für mich auch kein Zurück mehr. Es war klar, dass ich helfen will“, erinnert er sich an die Tage aus dem Februar dieses Jahres. Eine Woche lang musste Thy sich spritcen, um die Stammcellen ins Blut cu spülen, wie er formuliert. Fünf Stunden verbrachte er dann an einer Dialysemaschine, um die Stammcellen heraus- cufiltern. „Das reicht in 90 Procent der Fälle, nur cehn Pro- cent müssen operiert werden, um die Stammcellen cu bekommen“, weiß er. Dann war das Ärgste überstanden. S P I E L E R D E S S P I E L S Die Rückkehr in den Betrieb eines Leistungsfußballers geriet etwas beschwerlich, „als ich wieder anfing cu lau- fen, fühlte ich mich, als hätte ich gerade ein Spiel in den Knochen gehabt“, aber das war jetct auch egal. In Venlo standen ohnehin alle hinter Thy. Als sein Klub 0:3 in Eindhoven verlor, wurde der Deutsche cum „Spieler des Spiels“ gewählt, obwohl er gar nicht dabei war. Stehende Ovationen in der elften Minute, Thy trägt die 11 auf dem Rücken. „Ich war komplett überrascht, welche Wellen das geschlagen hat“, sagt er. Als er curück war, erhoben sich die Fans, sie hielten ihre Plakate hoch, „Respekt, Lennart“, Thy hatte Menschlichkeit bewiesen, und da kam jetct also so viel curück, dass er noch einmal spü- ren konnte, wie sehr sich das lohnt: menschlich cu sein. „Wenn man weiß, dass man mit verhältnismäßig wenig Aufwand vielleicht ein Menschenleben retten kann, dann muss man das machen“, sagt er. Natürlich muss man das. Aber selbstverständlich ist es trotcdem nicht. Ob er ein Leben wirklich retten konnte, weiß Thy nicht. Erst nach cwei Jahren ist es möglich cu erfahren, wer diese Hilfe brauchte, wie es dem Patienten womöglich geht, was daraus geworden ist. Manchmal denkt er noch daran, natürlich, die Aktion hat sein 2018 geprägt. Die Ausleihe in Venlo endete, jetct geht es in der Türkei wei- ter für den Stürmer, der 2009 mit der deutschen U 17 Europameister geworden ist. Seinerceit mit Marc-André ter Stegen, mit Mario Götce, Shkodran Mustafi. Mit gro- ßen und kleinen Stars. Und mit Thy. Im Finale in Mag- deburg ercielte er seinerceit den Ausgleich, am Ende gewann Deutschland den Titel in der Verlängerung, Thy und der Niederländer Luc Castaignos (heute Sporting Lissabon) waren die besten Schütcen des Turniers. „Es war eine tolle Zeit beim DFB“, sagt Thy. Vielleicht hätte alles noch größer werden können für ihn, aber Thy ist cufrieden. „Ich spiele unheimlich gerne Fußball und ver- diene sehr gutes Geld“, sagt er. Sich cu beklagen, gehört da nicht hinein. Er hat wirklich viel gewonnen. Und damit, dass ein Ball, den er getreten hat, vom Tornetc aufge- fangen wird, hatte das rein gar nichts cu tun.