I N T E R V I E W Annette Seitz Die EM ist vorbei, aber noch nicht abgehakt. Welche Erkenntnisse haben sich aus der Analyse ergeben? Ich persönlich und wir als Trainerteam waren nach der Europameisterschaft sehr selbstkritisch. Wir hatten eine sehr offene Aussprache, haben alle Dinge angespro- chen, die uns aufgefallen sind, zudem mit den Spiele- rinnen Gespräche geführt. Die Analyse hat ergeben, dass trotz Dominanz und Ballbesitzspiel sowie vielen Vorstößen ins Angriffsdrittel, in den entscheidenden Momenten die Souveränität, Entschlossenheit, die Posi- tionsdisziplin und auch Effizienz gefehlt haben. Wir haben zudem gesehen, dass viele Nationen durch einen kompakten Abwehrverbund und gute Physis kaum bespielbare Räume bieten. Wir müssen daran arbeiten, Lösungen gegen diese Gegner abzurufen. Welche Eindrücke hatten Sie persönlich bei Ihrer ersten EM als Trainerin gewonnen? Es war ein Entwicklungsprozess für uns alle. Da verfällt man vielleicht auch in so eine Art Aktionismus, weil man vieles sofort umsetzen möchte. Mit den Erfahrungen der EM würde ich jetzt sicher das eine oder andere etwas anders angehen. Ich will nun einige Nuancen anpassen, Akzente anders setzen. Welche? Beispiel Führungsstil: Ich bin definitiv ein harmoniebe- dürftiger Mensch. Das heißt aber nicht, dass ich naiv bin. Ich kann klare Worte finden. Und das werde ich in Zukunft noch deutlicher tun. Sie meinen Ihre Ansprachen. Ja, das und was meine lange Leine angeht, die ich ja bisher für die Spielerinnen ein bisschen gelassen habe: Die wird kürzer. Das haben wir klar erkannt, dass wir die Grenzen enger setzen müssen. Grundsätzlich sind unsere Spielerinnen zwar sehr selbstkritisch, das waren sie auch nach dem Viertelfinal-Aus. Sich selbst zu hinterfragen, „Wir sind der festen Überzeugung, dass in dieser Mannschaft ganz viel Potenzial steckt.“ ist mir auch wichtig, das fordere ich nicht nur von mir selbst, sondern von allen ein. Aber: Wenn eine Spielerin bei der Frauen-Nationalmannschaft spielen möchte, dann muss sie grundsätzlich die richtige Einstellung haben. Sie muss die Leidenschaft und die Bereitschaft haben, alles mitzubringen, was man als selbstverständ- lich ansieht. Wenn dann nach einem Spiel gesagt wird, die Einstellung hat nicht gepasst, dann stimmt etwas nicht. Und sollte das noch einmal passieren, dann werde ich auch dementsprechend reagieren. Es wäre aber jetzt auch nicht richtig, alles negativ zu sehen. Wir haben auch positive Dinge erkannt. Welche sind das? Dass wir auf dem richtigen Weg sind, vor allem mit dem Ballbesitzfußball und der Dominanz, die wir gezeigt haben. Nun müssen wir daran arbeiten, das Umschalt- 31 spiel und die Tempowechsel zu optimieren. Wir müssen in der Lage sein, gegen tief stehende Gegner Lösungen zu finden. Wir sind weiterhin der festen Über- zeugung, dass in dieser Mannschaft ganz viel Potenzial steckt. Der Weg, den wir gehen, ist richtig; wir müssen nur an der einen oder anderen Stelle noch Dinge opti- mieren. Wie wollen Sie dabei vorgehen? Wir haben unsere systemunabhängigen Leitlininen unse- rer Spielphilosophie, an denen wir uns orientieren. Das sind Leitlinien, die wir durch alle Mannschaften von der A- bis zu den U-Mannschaften auch so leben. Die Spie- lerinnen müssen in der Lage sein, die Leitlinien für unser Spielsystem nicht nur kognitiv zu verstehen, sondern diese auch praktisch umzusetzen. Unsere Spielerinnen machen im Training schon sehr viel gut, aber im Spiel selbst fehlt es teilweise an der Disziplin und dem nöti- gen Selbstvertrauen. Sie haben gesagt, dass Sie den Weg der Erneuerung weitergehen wollen. War die Nominierung für die bei- den WM-Qualifikationsspiele gegen Slowenien und Tschechien ein klares Zeichen dafür? Absolut. Der personelle Umbruch, der schon im vergan- genen Jahr eingeleitet wurde, wird fortgeführt. Wir haben schon bei der EM die eine oder andere neue Spielerin integriert, jetzt geht es weiter. Johanna Elsig war bei- spielsweise in der Vorbereitung auf die EM dabei sowie auch Lea Schüller und Carina Schlüter. Felicitas Rauch hatte unwahrscheinlich viele Verletzungen, sie hat an sich gearbeitet und wurde jetzt dafür belohnt. Zum ers- ten Mal dabei war Joelle Wedemeyer. Eine U 20-Weltmeisterin von 2014. Richtig. Sie ist übrigens ein gutes Beispiel, wie eng wir mit unseren U-Trainerinnen – vor allem hier mit Maren Meinert und Bettina Wiegmann, die die U 19- und U 20- Juniorinnen betreuen, abstimmen. Es werden aus diesem Pool noch weitere Spielerinnen folgen, es ist uns aber wichtig, dass sie erst mal die U 20-WM 2018 spielen und dort wertvolle Turnier-Erfahrungen sammeln. Eine ist zurückgekehrt, die über jede Menge Erfahrung verfügt: Simone Laudehr. Es war wirklich bitter, dass sie nach ihrer langwierigen Verletzung nicht rechtzeitig den Sprung in den EM-Kader geschafft hat. Spielerinnen wie sie und Alex Popp haben uns in Holland gefehlt. Warum? Weil sie unheimlich viel Leidenschaft und Einsatz mit- bringen, dabei auch sehr zielstrebig und gradlinig spie- len, was uns ja auch ein Stück weit gefehlt hat. Ich bin sehr froh, dass sie jetzt wieder fit sind, um uns zu helfen. Ist es gerade in dieser Phase der Integration einer neuen Generation wichtig, auch solche Führungsper- sönlichkeiten zu haben? Ja, absolut. Wir brauchen Spielerinnen, die ihre Füh- rungsrolle leben und vorangehen. Wir wollen allerdings auch, dass die eine oder andere jüngere Spielerin in eine solche Rolle hineinwächst. Das braucht jedoch Zeit, so wie ein Umbruch eben Zeit braucht.