„DAS K N AC K E N K A N N I C H N O C H H E U T E H Ö R E N: I C H B RAC H M I R I N T E L AV I V B E I M F U S S BA L L S P I E L E N DEN FUSS, ABER DIE REISE H I N T E R L I E S S S P U R E N, D I E F Ü R I M M E R H A LT E N W E R D E N. N I C H T W EG E N D E S F U S S B RU C H S, S O N D E R N W EG E N G E M E I N- SA M E R P ROJ E K T E.“ hilfe der DFB-Kulturstiftung Mannschaf- ten wie Israel, die Türkei, die Ukraine, Polen, Frankreich oder Argentinien. Gegen die „Gauchos“ hieß unser Trainer Dettmar Cramer, die Bayern-Legende! Gegen Bra- silien hießen unsere Trainer Rudi Guten- dorf und Jimmy Hartwig, auch alles Legen- den! Ja, wir reisten sogar im März 2008 nach Saudi-Arabien, um dort Fußball in Riad im Stadion Saud-al-Faisal zu spielen und Autoren zu treffen, die es allerdings nicht gab, sondern nur saudische Ex- Nationalspieler des Königreichs, die 2002 bei der WM in Japan/Südkorea gegen Völler-Deutschland 0:8 verloren hatten und nun bei 42 Grad Rache nahmen. (1:5-Niederlage, die von den Saudis his- torisch gefeiert wurde. Nach dem Spiel gratulierte der Scheich Andreas Merkel, weil er ihn in seiner ruhigen Art für den Trainer hielt. Danach traten wir beim Din- ner für Menschenrechte ein, was dem deutschen Botschafter einiges an Diplo- matie abverlangte). Ja, eigentlich waren wir so etwas wie die Wiedergeburt der Gruppe 47, aber einer sportlichen. Die Zeit der literarischen Mani- feste und Autorenkollektive war zwar längst vorbei, aber wir erfanden eine spielerische Form. Autoren aus aller Welt spielten erst Fußball, danach lasen sie Texte, diskutierten und vor allem: Sie lernten sich kennen, vereinbarten gemeinsame Projekte – und tranken. Natürlich, es wurde in den Jahren auch viel getrun- ken. Mittlerweile waren längst weitere Autoren zur Mannschaft gesto- ßen: Wolfram Eilenberger, Benedict Wells, Jürgen Schmieder, Sönke Wortmann, Nils Straatmann, Simon Roloff, Matthias Sachau, Mathias Schönsee, Hakan Mican, Gregor Sander, Konstantin Rich- ter, Matthias Luthardt oder Jan Costin Wagner und Lucas Vogel- sang. Und das sind längst nicht alle. Einige blieben kurz, andere für immer. Der vielleicht bewegendste Moment – neben den Spielen gegen die Türkei, die ja zu meiner zweiten Heimat geworden ist – war die Begegnung gegen die israelische Autoren-Nationalmann- schaft im Mai 2007. Wir spielten unter den Augen des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier auf dem Olympiagelände in Berlin, das für die Großeltern unserer israelischen Kollegen bestimmt der Ort war, an dem die Nazis 1936 eine Olympiade veranstaltet hatten, während sie schon systematisch das Morden vorberei- teten. Würde mein Großvater noch leben, dachte ich, während die Hymnen gespielt wurden, dann würde ich ihm erzählen, dass ich mit Israelis Fußball spiele. Mein Großvater war Waffenmeis- ter und hätte er damals Befehle geben können, bin ich mir fast sicher, dass es nicht die richtigen gewesen wären. Ich sehe noch, wie bei der israelischen Hymne einigen von uns die Tränen über das Gesicht liefen. Im Dezember 2008 reisten wir dann nach Tel Aviv, zusammen mit dem Profi-Kader von Borussia Mönchengladbach und der U 18 des DFB. Ich erinnere mich noch, wie wir nach dem Spiel am Strand standen, die Gladbacher Borussia und wir, unsere Waden auf Anra- ten der medizinischen Abteilung kühlten, während die israelische Luftwaffe über uns Richtung Süden flog, weil die Hamas die Waffenruhe am Vormittag gebrochen hatte. Es war wieder Krieg, und ich dachte, als ich unten auf unsere Waden und oben auf die Kampfjets am Himmel sah, an Ernst Jüngers „Pariser Tagebücher 1941-42“ und wie er am Rande des Krieges sein Käferstudium betrieb. Wenn man sich bei den Schriftstellerkol- legen umhört, was sie aus den zehn Jah- ren erinnern, kommt eine schöne, oft brüchige Autorenfußballwelt zusammen. Wie zum Beispiel bei Norbert Kron. Norbert Kron „Das Knacken kann ich noch heute hören: Ich brach mir in Tel Aviv beim Fußballspie- len den Fuß, aber die Reise hinterließ Spu- ren, die für immer halten werden. Nicht wegen des Fußbruchs, sondern wegen gemeinsamer Projekte. Gemeinsam brachte ich mit Amichai Shalev, dem israelischen Sechser, 2015 das Buch- und Kulturprojekt ‚Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen‘ auf den Weg, wiederum unterstützt von der DFB-Kulturstiftung, zusammen mit dem Auswärtigen Amt und der Bundeszentrale für Politische Bildung. Das Motto fand solchen Anklang, dass es Außen- minister Steinmeier und Israels Botschafter Hadas-Handelsman mehrfach in Reden zur Formel der Feierlichkeiten von ‚50 Jahre Deutsch-Israelische Beziehungen‘ erhoben. Unter dem gleichen Namen ging 2017 ein Geschichtenwettbewerb an den Start, den ich zusammen mit der Austauschorganisation ConAct ins Leben rufen konnte. Dabei erzählen junge Reisende beider Länder über ihre Erlebnisse: die nachwachsenden Generationen, die die deutsch-is- raelische Zukunft bilden. Sie erinnern sich, tanzen und gründen manchmal sogar neue Familien.“ Klaus Cäsar Zehrer ist ein ähnlich guter Brückenbauer der Mann- schaft geworden wie Kron. Zehrer, der auch immer der statisti- sche Chronist der Mannschaft war (74 Spiele, 28 gewonnen, 13 unentschieden, 33 verloren, 167:155 Tore, Stand heute), erinnert sich an das Gründungsspiel gegen die Türkei am 16. September 2009 in Hamburg. „Mein schönster Autonama-Moment: St. Pauli, Millerntor-Stadion, das Spiel gegen die türkische Autorenmannschaft. Nicht wegen unseres 7:1-Siegs. Auch nicht nur wegen des unglaublichen Gefühls, einmal in einem solchen Stadion spielen zu dürfen. Sondern weil das Spiel überhaupt stattfand. Ein halbes Jahr Organisation ging ihm voraus, die DFB-Kulturstiftung und das Auswärtige Amt halfen mit, alles war perfekt vorbereitet, Jörg Berger als Trainer engagiert. Problem nur: Es gab gar keine türkische Autorenmannschaft, die musste erst noch gegründet werden. Und die Aufgabe fiel mir zu.